Wer betet, faltet in aller Regel seine Hände. Entweder wir legen die Handflächen aufeinander oder wir verschränken die Finger miteinander. Vor allem im Gottesdienst verhalten wir uns so. Was für die meisten Christen Westeuropas gegenwärtig gang und gäbe ist, war aber nicht immer so. Wer heute die alten Katakomben in Rom besucht, wird an ihren Wänden manche Abbildungen von betenden Menschen entdecken. Doch die Christen und Christinnen im Altertum beteten niemals wie wir. Sie falteten nicht ihre Hände und sie setzten sich auch nicht hin. In den Stein geschlagen sieht man Menschen, die im Stehen ihre geöffneten Hände heben. „Orantenhaltung“ nennen das heute die Historiker. Es ist die typische Gebetshaltung der Alten Kirche. Damit brachten sie ihren Glauben zum Ausdruck: Von Gott erwarteten sie alles. Und von Ihm wollten sie sich erfüllen lassen. Wer einmal probeweise diese Stellung beim Beten einnimmt, merkt schnell, wie durch diese äußere Haltung sich auch die innere Einstellung ändern kann. Es ist ein Ausdruck der Zuversicht – man fühlt sich geradezu beflügelt.
Doch wie konnten sich die gefalteten Händen beim Beten durchsetzen? Geschichtswissenschaftler vermuten, dass sie ein Ergebnis der Christianisierung der Germanen sind. Als das Christentum nämlich durch irische und englische Mönche ins heutige Deutschland gebracht wurde, da veränderte es nicht nur die germanische Welt. Auch die Kultur unserer Vorfahren wirkte auf das Christentum zurück, wie etwa auf die Gebetshaltung. So herrschte im frühen Mittelalter das sogenannte „Lehnswesen“ vor. Wenn ein Vasall seinem Lehnsherrn die Gefolgschaft versprach, dann legte er als verbindliches Zeichen seine gefalteten Hände in dessen offene Hände. Damit drückte der Untergebene seine Bindung aus, während der Lehnsherr seinen Willen zur Versorgung bekundete. „Kommendation“ nennt man heute diesen Akt. Und es war wohl diese germanische Geste, die auf die Gebetsgebärde abfärbte. Fortan beteten die Menschen kniend und mit gefalteten Händen. Später kam zurzeit der Reformation auch noch die Sitte des Betens mit verschränkten Fingern auf.
Nun ist klar, dass nicht die richtige Geste über die Wirksamkeit eines Gebets entscheidet. Ausschlaggebend ist nicht die äußere Handlung, sondern die innere Haltung. Wir können im Sitzen, Stehen und Liegen beten, sei es mit erhobenen oder verschränkten Armen. Dennoch kann der körperliche Ausdruck manchmal beim Beten hilfreich sein. Die Erfahrung ist nämlich, dass das Äußere auf das Innere wirkt. Wer nach oben schaut, empfindet neue Hoffnung und wird so möglicherweise auf neue Weise zu Gott sprechen. Und wer seine Hände öffnet, dem wird neu bewusst, dass er auf Gott angewiesen ist.
Zum Weiterlesen: Thomas Ohm, Die Gebetsgebärden der Völker und das Christentum, Leiden 1948.